E  Andere Religionsgemeinschaften

 

1  Judentum

„Der christliche Glaube ist nur so lange christlich, als er den jüdischen in seinem Herzen trägt“, so der in Westfalen geborene Neutestamentler Ernst Lohmeyer.

Was heißt das? Das Christentum hat seine Wurzeln im Judentum. Jesus war Jude. Die ersten Frauen und Männer, die ihren Glauben an den auferstandenen Herrn bekannten, waren Juden, die an Jesus als Messias und Sohn Gottes glaubten. Ihre Heilige Schrift ist die gemeinsame Glaubensurkunde von Juden und Christen, der erste Teil unserer Bibel. Wer das Neue Testament aufschlägt, wird in fast jedem Kapitel Hinweise finden auf die Tora (fünf Bücher Mose), die Propheten und die Psalmen.

Enger kann eine Beziehung zwischen zwei Religionen nicht sein; ja man kann hier von einer Verwandtschaft sprechen, die über die Beziehung zu anderen Religionen hinausgeht. Juden und Christen glauben an denselben Gott. Kirche und Judentum haben gemeinsame Schriften. Sie teilen die eine Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde.

Dennoch haben sich Christen häufig schwer damit getan, in den Juden ihre älteren Geschwister zu sehen.

 

Die geschichtliche Last

Als nach der NS-Zeit das ganze Ausmaß dessen bekannt wurde, was in Konzentrationslagern an deutschen und ausländischen Menschen jüdischen Glaubens geschehen war, stellte sich, nach sprachlosem Entsetzen, eine Frage unausweichlich: Wie konnte es dazu kommen? Je länger man kirchlicherseits dieser Frage nachging, umso deutlicher wurde: Es gab in weiten Teilen christlicher Theologie und Frömmigkeit eine durchgehend negative Einstellung gegenüber dem Judentum. Und diese Einstellung hat dazu geführt, dass Gottes erste Liebe von allzu vielen Christen geradezu verteufelt wurde.

Anzeichen hierfür finden sich bereits im Neuen Testament (Mt 27,25). Und das geht dann weiter über Kirchenväter und Reformatoren, Päpste und Hofprediger bis in unsere Zeit. Konflikte, die sich zur Zeit der Entstehung des Neuen Testaments entwickelten und zuerst als ein innerjüdisches Ringen zu deuten sind, wurden ohne ihren historischen Kontext überliefert. Durch diese ungeschichtliche Weise, die Bibel zu lesen, wurden antijudaistische Vorurteile befördert.

 

Information als Mittel gegen Vorurteile

Antisemitische Vorurteile, die sich über Jahrhunderte entwickelt und verfestigt haben, können nur durch Begegnung zwischen Menschen, Aufklärung und Information und durch genaues Hinsehen und Unterscheiden ausgeräumt werden. Hier sind Beharrlichkeit und Ausdauer gefragt. Hierzu gibt es hilfreiche Arbeitsmaterialien für die Gemeinde, beispielsweise den Flyer „Antisemitismus – wir haben was dagegen!“ vom „Gemeinsamen Ausschuss Kirche und Judentum“ der EKD, der UEK und der VELKD.

 

Neue Wege der Beziehung

Wie aber steht es mit dem grundlegenden Unterschied zwischen Christen und Juden? Soll der jetzt auf einmal keine Rolle mehr spielen? Der Unterschied bleibt bestehen. In unser Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Weg, der Wahrheit und dem Leben können Juden nicht mit einstimmen. Für sie ist Jesus von Nazareth ein Rabbi unter vielen berühmten Lehrern ihres Volkes, nicht aber der Messias. Wenn die neutestamentliche Tradition ihr Bekenntnis zu Jesus als Sohn Gottes als Erfüllung von Gottes Verheißungen deutet (2. Sam 7; Ps 2), wird das im traditionellen Judentum als Grenzüberschreitung des Menschen gedeutet.

Trotz dieses Glaubensunterschiedes kann es aber gute Beziehungen zwischen Christen und Juden geben. Es lassen sich Wege des Kennenlernens und Verstehens finden:

  • Wenn in Ihrer Kirchengemeinde oder in Ihrem Kirchenkreis eine jüdische Kultusgemeinde ihre Gottesdienste in einer Synagoge feiert, nutzen Sie die Gelegenheit zum direkten Dialog und zur Zusammenarbeit vor Ort.
  • In einigen westfälischen Orten gibt es christlich-jüdische Gesellschaften, die offen sind für alle Interessierten. Sie halten im März jeden Jahres die „Woche der Brüderlichkeit“ ab, die der Erneuerung des Verhältnisses zwischen Christen und Juden gewidmet ist.
  • Das Institut für Kirche und Gesellschaft (Villigst) bietet regelmäßig Tagungen an, auf denen sich Juden und Christen als um die theologische Wahrheit ringende, lernende Menschen begegnen können. Bei jedem Deutschen Evangeli¬schen Kirchentag ist Gelegenheit, sich bei Vorträgen, Podiumsdiskussionen und in Arbeitsgruppen mit diesem Thema zu beschäftigen.
  • Eine ganze Reihe von Kirchengemeinden veranstaltet Fahrten nach Israel, um den Spuren Jesu zu folgen, Eindrücke von der religiösen und politischen Situation im Land zu gewinnen und das Gespräch mit den Menschen vor Ort zu suchen.
  • Etliche Pfarrerinnen und Pfarrer haben das Programm „Studium in Israel“ absolviert und die Gelegenheit genutzt, den Reichtum der jüdischen Schriftauslegung kennenzulernen und für die gemeindliche Praxis nutzbar zu machen.
  • Der 10. Sonntag nach Trinitatis ist als „Israelsonntag“ eine besondere Gelegenheit, sich in Predigt und Liturgie von den theologischen Erkenntnissen des christlich-jüdischen Dialogs inspirieren zu lassen. Biblische Geschichten werden sensibel und differenziert ausgelegt. Klischeefallen werden erkannt und vermieden. Das ist natürlich auch eine Aufgabe für jeden anderen Gottesdienst und auch für den kirchlichen Unterricht. So wird das Ringen um „Wahrheit“ ein lebendiger Prozess, der um Gottes und um der Menschen Willen von der Liebe getragen wird (1. Kor 13).

 

Das Thema unserer Landeskirche

Nach längerer Diskussion (Hauptvorlage 1999 zum Thema „Christen und Juden“, mit dem Titel „Gott hat sein Volk nicht verstoßen“ Röm 11,2) und sowie nach ausführlicher Debatte in den Gemeinden wurde 2005 der Artikel 1 unserer Kirchenordnung verändert. Mit dieser Änderung wurde ein Jahrzehnte dauernder theologischer Diskussionsprozess in unserer Landeskirche konzentriert auf den Punkt gebracht und die Fehlstelle der Israel-Vergessenheit in der KO aufgehoben.

Dort heißt es:
„Die Evangelische Kirche von Westfalen urteilt über ihre Lehre und gibt sich ihre Ordnung im Gehorsam gegen das Evangelium von Jesus Christus, dem Herrn der Kirche.

Sie tut dies im Vertrauen auf den dreieinigen Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, der Israel zu seinem Volk erwählt hat und ihm die Treue hält, der in dem Juden Jesus, dem gekreuzigten und auferstandenen Christus, Menschen zu sich ruft und durch den Heiligen Geist Kirche und Israel gemeinsam zu seinen Zeugen und zu Erben seiner Verheißung macht.

In dieser Bindung und in der darin begründeten Freiheit überträgt sie ihre Ämter, übt sie ihre Leitung aus und erfüllt sie ihre sonstigen Aufgaben.“

Diese Formulierung hat einen bekenntnishaften und damit lobpreisenden Charakter. Sie zeigt: Der christlich-jüdische Dialog ist kein theologisches „Sonderthema“, sondern es gehört zum Selbstverständnis unserer Kirche, im Dialog mit jüdischen Gemeinden und ihren Menschen zu sein. Das wiederum hat vielfache Rückwirkung auch auf unser eigenes Selbstverständnis. Das Verhältnis von Kirche und Judentum gehört also ganz in das Zentrum unserer Kirche. Als evangelische Kirche sehen wir uns so eng mit den jüdischen Kultusgemeinden und ihrer Tradition verbunden, dass wir jeglichen Antisemitismus als einen Angriff auf unsere Brüder und Schwestern verstehen.

Der Beauftragte der Kirchenleitung für den christlich-jüdischen Dialog verantwortet zusammen mit den Synodalbeauftragten der Kirchenkreise eine Internetseite, auf der hilfreiche Informationen und wichtige Texte zusammengestellt sind: http://www.judentum-dialog.ekvw.de.

 

weiter zur nächsten Seite »