A  Verständnis und Auftrag von Gemeinde und Kirche

 

2  Theologische Aspekte der Leitungsverantwortung des Presbyteriums

 

2.4  Gemeindeleitung als geistliche Leitungsverantwortung

Unser „Pfarramt“ gibt es in dieser Form im Neuen Testament noch nicht. Der Begriff der „Presbyter“ ist dagegen schon im Neuen Testament gut belegt, allerdings in seiner Bedeutung nicht klar definiert. In 1. Petr 5,1–3 wird zum Beispiel aus­drücklich erwähnt, dass die presbyteroi (= die „Ältesten“) die Herde Gottes weiden sollen, also die Aufgabe des Hirten wahrnehmen. Hirte heißt auf lateinisch Pastor. Man könnte also logisch folgern: Wenn Presbyter die Herde Gottes weiden sollen, gleichzeitig Hirte mit Pastor übersetzt wird, sind Presbyter Pastoren.

Deutlich ist, dass es dort, wo die presbyteroi erwähnt werden, um die Funktion der Gemeindeleitung geht und dass zur Aufgabe der Gemeindeleitung die geistliche Verantwortung gehört. Ein weiterer Blick in Eph 4 zeigt, dass in der beginnenden Strukturwerdung von Kirche fünf Leitungsaufgaben benannt werden (Eph 4,10): Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer. Damit ist zum einen deutlich, dass die geistliche Leitung von mehreren Personen wahrgenommen wird, und zum anderen, dass es verschiedene geistliche Leitungsaufgaben gibt. Auf heute bezogen könnten sie Folgendes meinen:

  • Apostel: Grundlegung und Orientierung im Blick auf das, was es heißt, als Kirchengemeinde in der Sendung Gottes zu stehen. Die Ausrichtung auf Christus als der Mitte der Gemeinde muss wachgehalten werden, damit Gemeinde nicht zu einem Betrieb, Wohltätigkeitsverein oder Geselligkeitsclub verkommt. Die KO mutet den Presbyterinnen und Presbytern zu, „über Lehre und Ordnung in dieser Gemeinde zu wachen“ (Artikel 36 Absatz 2 Satz 3). Dazu gehört auch der Zusammenhalt der Gemeinde, das heißt das Ringen um Einheit in der Verschiedenheit; der Widerstand gegen Parteienbildung und Gruppenegoismus und damit zugleich das Bemühen, das Auseinanderdriften der unterschiedlichen Kreise und Gruppen in der Gemeinde zu verhindern und nach einer Einheit der versöhnten Verschiedenheit zu streben.
  • Propheten: Sie sagen, was von Gott her in dieser Zeit an diesem Ort gesagt werden muss. Eine Kirchengemeinde ist nicht für sich selbst da, sondern hat immer eine Ausstrahlung in die Welt, in die Stadt, in den Ort oder Ortsteil hinein. Wo wir als Protestanten in Gottes Namen protestieren müssen, dürfen wir nicht schweigen.
  • Evangelisten: Die Botschaft von der freien Gnade Gottes wird durch die Kirchengemeinde hörbar, das Angebot des christlichen Glaubens will einladend an den Mann und die Frau gebraucht werden. Ganz besonders gehört zu dieser Aufgabe in unserer Zeit auch, Gemeindeglieder sprachfähig im Glauben zu machen.
  • Hirten: die Fürsorge und Fürbitte für die Gemeinde – ganz besonders für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; die Achtsamkeit dafür, dass Menschen in der Gemeinde satt werden, d.h. ihr Hunger nach dem Brot des Lebens gestillt wird. Ebenso gehört hierzu auch das seelsorglich-diakonische Bemühen um Menschen am Rande oder außerhalb unserer Gemeinden und die praktische Solidarität mit den Schwachen und Schwierigen in unserer Gesellschaft.
  • Lehrer: die Befähigung von Gemeindegliedern, „damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes“ (Eph 4,11 ff.). Zu den geistlichen Aufgaben eines Presbyteriums gehört es, Menschen zu eigenverantwortlicher Arbeit in der Gemeinde zu motivieren und zu befähigen. Dies bedeutet in der Konsequenz Delegation von Aufgaben und Verantwortung an dazu befähigte Gemeindeglieder.

Wenn im Epheserbrief von den fünf zentralen Funktionen gesprochen wird, dann ist das beispielhaft für die Zeit und die Situation gemeint. In Apg 6,3 werden zwei Kriterien für die Suche nach geeigneten Leitungspersonen genannt: Sie sollen voll heiligen Geistes und Weisheit sein. Geistliche Leitungsverantwortung muss im Blick auf die jeweiligen notwendigen Anforderungen beides miteinander verbinden. Gerade geistliche Leitung fragt auch nach den Weisheiten, die gebraucht werden. Dabei muss es sich auch um organisatorische und operationale Weisheiten handeln.

 

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